Beschreibung
Das Argument 343
Exit: Menschlichkeit?
Volker Braun
VERMUTUNGEN ÜBER UNSERE PROVINZ
Die Regierenden regieren ein nicht einverstandenes Volk
Das Volk erträgt eine untragbare Regierung
Die Ädilen melden, dass vollkommene Ruhe herrscht
Welche in genereller Ablehnung gründet.
Das ist nicht die gewöhnliche Meeresstille des Staats
Sondern wird oben als Alleingelassenheit erlebt
Unten als Unterdrückung, Entmündung, die kein Ventil mehr kennt.
Selbst die Attentäter sind entmutigt
Eine porentiefe Ohnmacht der Bevölkerung
Bei der die Macht keine Macht-
Mittel einsetzen muss als die generelle Zerrüttung
Und vollkommene Verfahrenheit, die die Gesellschaft
Unfähig dastehen lässt, aufgerüstet
Und abgehalftert. Auch die Konsuln
Die wir gewählt und nicht gewählt haben
Samt den gasförmigen Versprechungen
Sind unfähig, ja müssen es sein bei der Verflüchtigung aller Substanz
Überflüssig beinah durch die Bank. Wo sie sitzen
Und in ihre Handorakel blicken
Das Wort herausfischend für ihre Legislatur
Einsamkeit und Rheinmetall, wie gesagt. Vermutlich
Wird unsre Provinz wieder was darstellen
Kraft ihrer Wassersuppe. Ah wir Idioten
Ruhigtreter, Eigenbrote, wir Idioten des Staats
Werden nicht der Wandel sein
Den wir erwarten.
Editorial
Gebaut ist Volker Brauns Gedicht aus in ihrer Schlichtheit kraftvoll-markanten
Feststellungen zum Stand der Beziehungen zwischen dem Volk und den Regierenden.
»Sein Inhalt rät zu Bedacht«, motiviert er die Gedichtform, situiert sie »in
der Niedergangszeit« und endet mit der Frage: »Wie muss so eine Satire enden, auf
welchen Punkt ist sie zu bringen. Die Rache der Sprache ist das Gedicht (E. Jandl),
lese ich auf der Visitenkarte einer Kritikerin.«1
Wenn wir auf Brauns Wortschöpfungen in dem Gedicht achten, deren eine, die
»Entmündung«, wir auf den ersten Blick für einen Satzfehler des Wortes »Entmündigung
« halten mochten, können wir merken, wie sie mit anderen Bildgehalten
der Sprache in Beziehung treten und so ein Stück von deren poetischer »Rache«
vollziehen.
Warum nennt Braun unser Land eine »Provinz«? Oder meint er die EU insgesamt?
Ja, jeden Tag signalisieren uns die Medien, dass die Konjunktur nicht anspringt,
dass politisch und ökonomisch die Bundesrepublik zunehmend an internationalem
Gewicht verliere, von der EU ganz zu schweigen. Dass die Leute unzufrieden, die
Regierenden ratlos sind. »Einsamkeit und Rheinmetall, wie gesagt.« Unpopulärer
Sozialabbau und Aufrüstung – Gramsci würde von Hegemoniekrise sprechen. Was
aber ist das für ein Schatten, der über den Verhältnissen liegt, obgleich es ›uns‹ doch
vergleichsweise ›gutgeht‹?
(…)
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Inhalt
Exit: Menschlichkeit?
Volker Braun Vermutungen über unsere Provinz
Wolfgang Fritz Haug Editorial
Aktuelle Analysen
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John P. Neelsen
Das Schisma des Westens. Europa und die USA im Umbruch der Weltordnung
Karl Heinz Götze
Warum so viele Franzosen rechtsradikal wählen
Anti-, Post- und Transhumanismen
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»Crush!« – Apples Kulturquetsche
Miguel Vedda
Utopie oder Dystopie? Dialektik des Transhumanismus: zwischen ›toxischer Positivität‹ und Antiquiertheit des Menschen
Jan Rehmann
»Wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand«. Zur antihumanistischen Genealogie des Posthumanismus
Gesa Foken und Gerhard Schweppenhäuser
Im Zeichen der Affirmation. Parallelbewegungen posthumanistischen Denkens
Jan Loheit und Mariana Schütt
Mimetische Maschinen. Sozialkommunikation und Künstliche Intelligenz
Lukas Meisner
Die Positivität der Kritik und ihr Mensch. Jenseits des verzweifelten wie fröhlichen Nihilismus
Menschlichkeit – Humanität – Menschheit
Dick Boer Stand der Dinge
Hauke Neddermann
Schussfolgerung. Ein Lehrstück über KI in China und im Journalismus
Wolfram Adolphi
»Menschheit« wiedergelesen: Die unerhörte Gefahr der Selbstauslöschung
Werner Schmidt
Über den Menschen »in seiner Wirklichkeit«
Robert Cohen
Brecht, Benjamin und das Minimalprogramm der Humanität
Alessandro Cardinale
Welche Wikipedia braucht der Mensch?
Frigga Haug
Nachdenken über Antonio Labriolas Vorschlag, die Geschichte der Menschheit als Tragödie der Arbeit zu fassen
***
Loïc Wacquant Die Falle »racial capitalism«
Christoph Türcke Begriffe sind kommunistisch
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Silke Wittich-Neven Gestern ist noch nicht vorbei
u.v.m.
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