Beschreibung
»ask them why«
Ausgewählte Beiträge der Ferienuni Kritische Psychologie 2018
Editorial (Auszug)
In der Vorbereitungsgruppe der Ferienuni Kritische Psychologie 2018 bestand der Wunsch, zusätzlich zur Online-Dokumentation von Audiomitschnitten (ferienuni.de) ausgewählte Beiträge als Sondernummer der Zeitschrift Forum Kritische Psychologie – Neue Folge herauszugeben – ähnlich wie bereits im Nachgang der Ferienuni 2014. Teile der Gruppe haben die Gelegenheit ergriffen, eine Gastredaktion zu diesem Zweck zu bilden. Das Ergebnis haltet ihr nun in euren Händen.
Die Ferienuni fand 2018 unter dem Motto »ask them why« statt. Dieses Motto war zum einen als Aufforderung gedacht, Grundannahmen der Mainstreampsychologie kritisch zu hinterfragen. Zum anderen spielt es auf den Begründungsdiskurs an, der die prinzipielle Begründetheit menschlichen Handelns hervorhebt und als »universelle Grundlage und Medium psychologischer Wissenschaftssprache« (Holzkamp 1991, 12) dient. In ihm müssen subjektwissenschaftliche bzw. psychologische Theorien im Verständnis der Kritischen Psychologie verfasst werden, um menschlicher Lebenstätigkeit gerecht werden zu können. Mit dem Begründungsdiskurs grenzt sich die Kritische Psychologie grundlegend von der in der Mainstreampsychologie zumindest implizit vorherrschenden Metatheorie der (Umwelt-)Bedingtheit des Verhaltens ab. Diese bildet als Bedingtheitsdiskurs wiederum das Medium der Wissenschaftssprache, in der im Mainstream psychologische Theorien formuliert werden. Die Vorstellung der Bedingtheit ist dort auf Grund der Orientierung am naturwissenschaftlichen Experiment sozusagen methodologisch konserviert. Denn im Grundschema des psychologischen Experiments (und den weniger strikten Erkenntniskonstellationen, die aus ihm abgeleitet sind) wird angenommen, dass die Variation einer Unabhängigen Variable eine Veränderung in einer Abhängigen Variable bewirkt, also bedingt.
Die Frage des Zusammenhangs von Umwelt und Verhalten wird in der Kritischen Psychologie reformuliert: Menschen beziehen sich in ihrem Handeln subjektiv begründet auf die gesellschaftliche Welt, wie sie sie wahrnehmen. Begründet bedeutet dabei nicht externen Kriterien von »vernünftig« entsprechend und auch nicht, dass die Begründung bewusst sein muss. Grundsätzlich sind Gründe immer »erster Person« (Holzkamp 1991, 6). Subjektive Handlungsgründe zu berücksichtigen – und das ist erforderlich, um den Zusammenhang von individueller Handlung und Gesellschaft begreifen zu können – bedeutet deshalb für die Psychologie, dass sie »sich selbst Psychologie vom Begründungsdiskurs, also vom Subjektstandpunkt konstituieren muss« (ebd., 7).
Bei ihrem Weltbezug machen Menschen die gesellschaftlich produzierten Handlungsmöglichkeiten und -behinderungen (also die Bedeutungen), so wie sie sie jeweils sehen, zu Prämissen ihres Handelns – und das im Sinne ihrer individuell wahrgenommenen Lebensinteressen. Als marxistische Subjektwissenschaft analysiert die Kritische Psychologie »die gesamtgesellschaftliche Vermitteltheit individueller Existenz vom Standort der individuellen Subjekte, also je ›meinem‹ Standort aus« (Holzkamp 1983, 358). Dabei wird die individuelle Lebensführung in Teilhabe am gesellschaftlichen Prozess vollzogen. Sie kann sich an an den gesellschaftlichen Vorgaben und Nahelegungen orientieren, oder (zusammen mit anderen) versuchen, sich diesen zu widersetzen und sie zu verändern. Sie hält den gesellschaftlichen Prozess im Fahrwasser des Status quo, kann aber auch an seiner Kursänderung beteiligt sein: Weil die Gesellschaft von Menschen gemacht ist, kann sie auch von ihnen grundlegend verändert werden.
Inhalt
Eileen Wengemuth: Wozu mich als Psychologin mit Philosophie und Gesellschaft beschäftigen?
Kurze Werbeveranstaltung für lange Texte
Ingar Solty: Menschliche Freiheit/kapitalistische Unfreiheit. Einführung in die Grundbegriffe des Marxismus
Alex Greifenstein & Annette Schlemm: »Da dann Widersprüche …« – Dialektik in der Kritischen Psychologie
Motivation
Marina Minor: Wer motiviert wen, wozu und warum? Selbstbestimmtes Handeln und Motivation in Gamification und Nudging als Beispiele gegenwärtiger Motivationsforschung – Versuche einer Reinterpretation
Sigga Waleng & Morten Nissen: Der Sinn der Sache? – eine immanente Kritik des pragmatischen Umgangs mit Motivation
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Marcus Beisswanger: »… und raus bist du!« Zum Verhältnis von sozialer Ausschließung und instrumenteller Akzeptanz im Drogenhilfesystem
Simon Groten: Abstrakt isoliert ist nicht kapiert – zur Kritik am Konzept der ›psychischen Krankheit‹
Christine Zunke: ›Roll-back‹ in die Steinzeit? Kritik der evolutionären Psychologie am
Beispiel ihrer Begründung von Geschlechtscharakteren
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Debatte
Denis Neumüller, Flavio Stein, Ranjana Schirin Kochanek & Stefan Meretz: Kritische Psychologie und Emanzipation
Michael Zander: »Kritische Psychologie und Emanzipation«. Zur Kritik an den Auffassungen von Denis Neumüller et al.
Denis Neumüller, Flavio Stein, Ranjana Schirin Kochanek & Stefan Meretz: Antwort auf
Michael Zanders Kritik unserer Auffassungen
Stefan Meretz & Simon Sutterlütti: Nachtrag: Utopie und Transformation
Michael Zander: Was heißt »Arrangement mit den Herrschenden« und woher kommt
die Rede von den »Nebenwidersprüchen«? Antwort auf die Gegenkritik von Denis Neumüller et al. und Meretz & Sutterlütti
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Sascha Frank & Sigga Waleng: Interview mit Fernando Gonzáles Rey