Beschreibung
Eine politische Freundschaft
Der Briefdialog zwischen Klaus Weber (Autor, Psychologiedozent, linker Aktivist) und Dick Boer (Theologe und Marxist) arbeitet sich kreuz und quer durch Referenzen und Begriffe: Es geht um Kant und Hiob, ums ›Tora tun‹, um Neinsagen und Pflicht, um Plastikwörter, Barbarei, Heimat und Nicht-Ort. Da rangelt ein theorienkundiger Pragmatiker, der die Welt als Aufforderung zu Engagement und Handeln sieht, mit einem christlichen Idealisten, der an der Nichtüberwindung des naturzerstörenden, kriegführenden, menschenfeindlichen Kapitalismus verzweifelt.
Hoffen gegen jede Hoffnung: Hier geht es nicht um Durchhalteparolen, sondern ums kritische Sondieren – miteinander. Krieg, Klima, Kapitalismus: Wie können wir in tiefster Krise genau hinsehen, ohne zu resignieren? Können wir ohne Selbsttäuschung vergegenwärtigen, was real geschieht? Gar erkennen, was wir zu tun haben?
Lieber Klaus …
… als ich anfing mir Gedanken zu machen, worüber ich Dir schreiben sollte, traf mich der Hauptartikel in meiner Tageszeitung: Der Klimawandel ist dabei, in eine unumkehrbare Katastrophe auszuarten. Obwohl der Bericht noch eine letzte Warnung sein will – wenn wir nicht, dann –, konnte mich das nicht trösten. Mir wurde klar, was mir eigentlich schon lange klar war: Wir werden nicht mit der gebotenen Radikalität noch einen letzten Versuch machen, die Katastrophe zu verhindern oder zumindest so weit »abzumildern«, dass die Welt für die Menschheit noch einigermaßen lebbar bleibt. Und mich packte plötzlich eine gewaltige Mutlosigkeit. Nicht, dass mir der Zorn fehlte über das, was wir aus der Welt gemacht haben. Und ich meine mit »wir« natürlich den Kapitalismus, aber doch einen Kapitalismus, den »wir« nicht haben verhindern können. Gerade in seinem Zentrum bestätigen wir in freien Wahlen die vom Kapitalismus beherrschte Ordnung. Und ich hoffe, dass Du, der glücklicherweise kein Talent für Depression hat, diese Mutlosigkeit verstehst, auch wenn Du sie nicht teilen kannst.
Lieber Dick …
… Letzte Woche in meinem »Neoliberalismus«-Seminar habe ich die anwesenden Student_innen befragt auf ihre Hoffnung/s- losigkeiten hin. Die Antworten reichten vom »Genießen, weil die Welt ohnehin nicht mehr lange besteht« über Arbeiten an Theorien, die uns weiterhelfen könnten, bis hin zum Gemüseanbau im eigenen Schrebergarten und dem Teilen der Früchte mit den Nachbar_innen im Wohnblock als Geste solidarischen Handelns. Doch überwiegend waren die meisten verzweifelt und hoffnungslos, was den Sinn politischen Handelns betrifft. Als ich von meiner Arbeit im Bezirkstag erzählte und den Menschen, denen ich durch Briefe, Widersprüche, Sozialgerichtsklagen und »strenge« Telefonanrufe bei Ämtern und Verwaltungen helfen konnte, Einsparungen abzuwehren und das eh schon eingeschränkte Leben nicht noch unmenschlicher werden zu lassen, gab es immerhin eine wahrnehmbare Veränderung der Stimmungslage – es scheint so zu sein, dass das konkrete Gerechtigkeitshandeln (was Du »Tora tun« nennst) die Kraft in sich trägt, zum Handeln zu bewegen.