Beschreibung
Neuausgabe des Klassikers »Marxismus und Theorie der Persönlichkeit«, übersetzt von Joachim Wilke, mit einem aktuellen Vorwort von Lucien Sève, 2016 neu herausgegeben und eingeleitet von Klaus Weber.
Ein Buch wie ein Faustschlag – kein Stein bleibt auf dem anderen. Bürgerliche Psychologie und vielerlei Marxismen werden von Lucien Sève kommentiert und kritisiert. Sein Versuch, eine Wissenschaft der Biographie zu entwerfen, trägt gleichzeitig den Vorschein dessen in sich, was Menschsein in einer freien, gerechten Welt bedeuten kann. Wenn die Subjekte nicht dazu beitragen, ihre Welt, in der sie leben, mit der Perspektive der individuellen wie kollektiven Befreiung zu verändern – dann wird diese Welt sie bis zur Unmenschlichkeit verändern.
»Lucien Sèves Buch Marxismus und Theorie der Persönlichkeit ist 1969 in Paris erschienen. Sèves Buch ist wichtig, weil hier der ernsthafte Versuch unternommen wird, eine Theorie der Persönlichkeit aus marxistischer Sicht zu entwickeln – und diese Theorie sich nicht darin erschöpft, gegenüber ›bürgerlichen‹ Fehlkonstruktionen kanonisierte Marxsche und Engelssche Texte gleichsam ex cathedra zu zitieren. Sève entwickelt vielmehr eine Fülle neuartiger Theoreme, die anthropologische und psychologische Einsichten unabhängig von ideologischen Positionskämpfen vermitteln, Überlegungen zur Auffassung der Persönlichkeitsstruktur als Aktivität und die Ausarbeitung des Kernbegriffs ›Zeitplan‹, der vom ›Zeitbudget‹ abgesetzt wird, erscheinen mir in diesem Zusammenhang besonders bedeutsam. Darüber hinaus liefert Sève eine wissenschaftsgeschichtlich höchst informative Skizze der französischen Anthropologie- und Psychologiediskussion.« Wolf Lepenies, Frankfurter Allgemeine Zeitung
»Die Welt gehört allen, und wir sollen sie gemeinschaftlich und solidarisch verwalten, gestalten und in eine glückliche Zukunft führen. Von diesen Zielen hat Sève als Mitglied der Kommunistischen Partei Frankreichs und als marxistischer Theoretiker sein Leben lang nicht abgelassen. (…) Sèves Beharren darauf, wie sehr materiellen Verhältnisse unsere Persönlichkeiten formen bzw. uns nahelegen, auf gewisse Art und Weise zu handeln und zu denken, ist für diejenigen, die von »Bewusstseinsveränderung, die der gesellschaftlichen Veränderung vorausgehen muss«, ein Schrecken. Die Wahrheit jedoch ist: Seit Jahrzehnten hat das idealistisch-esoterisch Gerede von der individuellen Bewusstseinsveränderung zu keiner realen Veränderung geführt – außer zur Schwächung der Bewegungen und Gruppen, die das »Ganze« verändern wollen. (…) Am Ende will man Sève noch einmal von vorne lesen. Denn dieses Buch beschreibt den Irrsinn der »normalen«, an den Universitäten gelehrten Psychologie, und es ist gleichzeitig der Versuch, solcherart Psychologie ein Ende zu bereiten. Es zeigt die Verwirrungen und den Schaden, den die Psychologie erzeugt und anrichtet, und zugleich einen Ausweg aus diesem Gewirr. Jammern und Klagen hat keinen Nutzen: Wer einmal gespürt hat, wie anstrengend es sein kann, ein paar Stunden Talkshows im TV zuzusehen, wie erschöpfend unsinnig es sein kann, auf Facebook Freunde und Liebe zu suchen; wie einsam man bleibt, wenn man statt der Buchhändlerin vor Ort am Bildschirm Amazon befragt – wer solche Mühsal, solche Qual affirmativer Alltagspraxen kennt, für den ist es ein Leichtes, mit diesem Buch zu beginnen. Zum Schluss wird jeder merken: Die Leichtigkeit des alten Philosophen Sève lässt uns das schwer zu Machende in Angriff nehmen.«
Aus dem Nachruf von Klaus Weber auf Lucien Sève in der jungen welt (25. April 2020): Eine befreite Persönlichkeit