Beschreibung
Dies ist das erste Heft einer autonomen Frauen-Projektredaktion aus dem neuen Beirat der Zeitschrift.
Mit Beiträgen von Elfriede Jelinke, Philomena Harrison, Rose Baaba Folson, Ingrid Palmary, Alexandra Zavos, Claudia Gdaniec, Ursula Apitzsch.
Aus dem Editorial:
„Der Ausbruch aus eng und unlebbar gewordenen Verhältnissen hat verschiedene Formen. Eine davon heißt Migration und wird in diesem neuen Heft thematisiert. Die Wanderung in ein anderes Land, wo man bessere Lebensverhältnisse erhofft, […] ist lange Zeit in politischer Praxis und der Forschung männlich gedacht und gesprochen worden. […] Die späte Erkenntnis, dass es eine weibliche Einwanderung gibt, firmierte unter dem Begriff „Feminisierung von Migration“. […] Linke stritten für eine Verbesserung der Ausländergesetze, des Asylrechts oder zumindest für seinen Erhalt, für kulturelle Akzeptanz u.v.m. Damit schrieb man aber zugleich zwei Betrachtungsweisen fest: diejenige, Migranten als Opfer zu sehen und auf Hilfe zu drängen, und diejenige, die Voraussetzungen und Folgen von Migration geschlechtsblind zu denken.
Das Heft geht anders vor: Da die Grenzen, die Frauen einschnüren, so vielfältig sind, wird zunächst jede Durchquerung als Befreiungsversuch aufgefasst. Vom Standpunkt der betroffenen Frauen ist Migration zumindest auch ein selbstbewusster Akt, die Bedingungen ihres Lebens zu verändern, hoffentlich zu verbessern. Politik, Institutionen und Bevölkerung der Zielländer bestimmen mit, wieweit der Ausbruch illusionär war.
[…] Die in den europäischen Ländern ausgetragenen Skandale ums Kopftuch, um Zwangsheirat und Ehrenmorde, um Integrationskonflikte und Einwanderungsfragebögen usw. stellen Feministinnen vor ein Dilemma: Streiten sie gegen staatlich-nationale Restriktionen wie das Kopftuchverbot, bleibt ihr Emanzipationsanspruch auf der Strecke; setzen sie sich allgemein für Frauenbefreiung ein, finden sie sich plötzlich auf der Seite der Herrschenden und ihrer ‚Menschenrechtsinterventionen’ wieder. Es gibt keine einfache Parteinahme. Aber es wird immer offensichtlicher, dass es einen Wirkungszusammenhang von ‚Rasse’, Klasse und Geschlecht gibt, den zu begreifen für jede emanzipatorische Politik zentral ist.« Frigga Haug
Inhalt:
Migrantinnen, Grenzen überschreitend
Ursula Apitzsch: Kulturelle Entbettung und gegenhegemoniale Netzwerke
Claudia Gdaniec: Immigrantinnen in Smalltown, USA
Alexandra Zavos: Frauenundkinder. Die mediale Produktion von Hilfsbedürftigkeit zur Legitimierung von Staatsgewalt
Ingrid Palmary: In der Konstruktion von ›Rasse‹ steckt Gewalt gegen Frauen. Das Beispiel der Hutu und Tutsi
Rose Baaba Folson: Frauenabhängigkeit hat viele Muster
Philomena Harrison: Kolonisierte haben keine Heimat
Diskussion »Gerechtigkeit für Muslime?« Der Fall Necla Kelek
Jutta Meyer-Siebert: Popularliteratur mit Gramsci lesen
María do Mar Castro Varela und Nikita Dhawan: Das Dilemma der Gerechtigkeit: Migration, Religion und Gender
Georg Auernheimer: Einmischung ist besser als Schweigen
Richard Gebhardt: ›Gefährliche Gutmenschen‹?