Beschreibung
Die Klassiker der Literaturgeschichte sind voll davon. Von der Ilias über Macbeth bis zum Faust, von Byron über Brecht bis Böll: Wer den Horror rausnimmt, dem bleibt wenig übrig. Im Horror sind immer geschichtliche Erfahrungen aufgehoben, und zwar zeitgeschichtliche. Hier lagert sich ab, was kollektiv erlebt wird und verarbeitet werden muss. Das Horrorgenre ist ein Trainingslager für die Psyche. Was in der Sozialisation an den Rand gedrängt wird, rückt es zurück ins Zentrum.Im modernen Horrorfi lm wohnt das Böse bereits nebenan. Und es zieht auch nicht wieder weg. Oder der Feind sitzt zu Hause die Familie ist hier kein Ort des Trostes, sondern Hort des Terrors. Gewalt erscheint nicht als Unterbrechung, als zurückdrängbare Störung, sondern als ein konstitutives Element des ganz alltäglichen Lebens. Wenn etwa im typischen Actionkino das Überleben am besten gesichert wird, indem man sich eng an den männlichen Helden hält, der vorgebildet durch Militär, Geheimdienst oder Polizei gleich zu Anfang seine Muskeln und Waffen beruhigend vorführt, dann ist das im zeitgenössischen Horrorfi lm der sicherste Weg, nicht einmal die zweite Hälfte des Films zu erleben und sich frühzeitig unter die vielen anderen Leichen einzureihen. Fakt ist: Im Horrorfilm sind Frauen in Krisensituationen handlungsfähiger als Männer. Die Botschaft ist klar: Männer taugen in der Krise nichts.Die Wirkung auf die Zuschauer: Desensibilisierung, Verrohung und Anleitung zur Nachahmung?Man kann, wenn man möchte, Filme wie Hostel, The Hills have Eyes oder Saw als Exploitation abtun oder aber, wenngleich man sich damit in unwegsamere Gewässer begibt, sich auf die vom Genre hergestellte Assoziation von drastischen Bildern und Wahrhaftigkeit einlassen und versuchen nachzuvollziehen, welche Haltung die drastische Ästhetik dieser Filme transportiert.Der Horrorfi lm inszeniert für seine jugendlichen Zuschauer eine symbolische Welt, die auf Gewalt gebaut ist und in der die Erwachsenen diese Gewalt vergessen wollen, ohne dass sie sie im Griff hätten.Damit erfüllt der Horrorfilm eigentlich alle Wünsche des schlecht gelaunten Ideologiekritikers, der immer schon fand, dass das Getünche und die Scheinlösungen im Mainstream-Kino bürgerlicher Bullshit sind, Opium fürs Volk, Sand in die Augen der Massen. An Botschaften wie »Da kümmert sich schon jemand drum« oder »Im Grunde gehts uns doch gut« hat der Horrorfilm jedenfalls kein Interesse. Dass es wahrscheinlich nicht einmal einen Oberschurken oder eine geheime Verschwörung gibt, die Schuld ist an der Misere, sondern nur allgemeine Gedankenlosigkeit, Gleichgültigkeit und ein bisschen alltäglichenSadismus und Opportunismus, macht die Sache nur schlimmer.Der Horrorfilm spielt auf der Schutthalde der Zivilisation. Hier lebt alles, was eigentlich gar nicht mehr leben dürfte, wenn es nach den offiziellen Selbstbeschreibungen der modernen Gesellschaft und des bürgerlichen Individuums ginge: Gewalt, Blut, Ängste, Innereien, Obsession und Verfall.Viel Spaß auf der Schutthalde der Zivilisation!Mit Beiträgen von Linnie Blake, Jörg Buttgereit, Udo Franke-Penski, Dietrich Kuhlbrodt, Verena Kuni, Benjamin Moldenhauer, Uche Nduka, Jakob Schmidt, Tim Schomacker, Christoph Spehr, Dieter Wiene und Jörg Windszus.