Beschreibung
Das Argument 332 –
Kritik der Aufklärung / Politik der Literatur
(Aus dem Editorial:) Dass wir in einer Zeit der »Brüche und Diskrepanzen« leben, in der man kaum etwas »in der Gewissheit, es zu durchschauen, selbstbewusst angehen kann«, hat, wie Zygmunt Baumann konstatierte, eine »Atmosphäre des Unbehagens, der Verwirrung und Angst« erzeugt (Retrotopia, 2017). In ihr gedeihen Rassismus, Autoritarismus, Chauvinismus, kurz, alle Ungeheuer der Vergangenheit, die der modernistischen Theodizee des Fortschritts ihre unheimliche Dialektik vor Augen führen. Ohne deren begriffliche Durchdringung gibt es keine Handlungsfähigkeit. (…) Die »Mythen des Westens«, die der senegalesische Ökonom Felwine Sarr mit »gängigen Worthülsen wie ›wirtschaftlicher Durchbruch‹, ›Milleniums-Entwicklungsziele‹, ›nachhaltige Entwicklung‹« verbindet (Afrotopia, 2019), sind geeignet, die Komplexität der weltweit sich stellenden Probleme zu verdecken. Die statistischen Gradmesser des Fortschritts haben den Mangel, dass sie keine Aussagen »über die Qualität der gesellschaftlichen Beziehungen, ihre Intensität und Fruchtbarkeit, den Grad der sozialen Entfremdung, den Charakter des Beziehungslebens, des kulturellen und spirituellen Lebens usw.« erlauben. Demgegenüber will der erste Teil dieses Heftes dazu beitragen, das historisch-kritische Verständnis der in den gesellschaftlichen Naturverhältnissen eingelassenen Fortschrittsdialektik zu befördern, und zwar im Blick auf unterschiedliche historische Pfade zur ›Moderne‹ und unterschiedliche Traditionen ihrer Theoriebildung. Auf den Prüfstand gehört nicht nur die in den letzten Jahren entstandene wissenschaftliche Literatur, die den Ideen der Aufklärung angesichts der globalen Herausforderungen größer werdende Aktualität bescheinigt, sondern auch die Tradition der marxistischen Aufklärung, kraft deren eigener Dialektik »die Revolution« sich in Gestalt des Staatssozialismus »hinterrücks in ein ancien régime rückverwandelt« hatte (Haug, HKWM I). Mit den Beiträgen des zweiten Teils kommt ›Aufklärung‹ in einigen Beispielen literarischen Engagements ins Bild.
Inhaltsverzeichnis:
W.F. Haug: Überlegungen zu Fridays for Future: Und sie bewegt sich doch …
Manja Präkels: Genaugenommen irgendwas
Silke Wittich-Neven: Weinstein – Anwalts Liebling?
Christoph Türcke über Influencer
Hans-Jürgen Urban: „Mosaik-Linke“ in der Bewährungsprobe
Kritik der Aufklärung
Göran Therborn: Wege zur Moderne –sozialgeschichtliche Geologie
Andreas Gehrlach: Leben an den Rändern des Kapitalismus
Vesa Oittinen: Das Neue Denken der Aufklärung
Tamara Dlugatsch: Zur Dialektik von Diderots Paradoxien
Gerhard Schweppenhäuser: Aufklärung ohne Dialektik. Vom Humanismus zum Luhmannismus
Jeremy Lent: Fortschritt für wen? Kritik an Steven Pinker
Politik der Literatur
Robert Cohen: Der Dichter als Aktivist. Zu Ernst Tollers Briefen
Stephan Pabst: Das Kind, der Schelm, der Ostdeutsche. Ingo Schulzes
Kapitalismuskritik
Carolin Krahl: »Von nun an lief ich schneller« – Manja Präkels’ Wiederaneignung
des Erzähl-Zeit-Raums »Wende«
Steffen Mensching: Illuminiertes Chaos. Robert Cohens New Yorker Tagebuch
Adrian Brauneis und Tobias Lambrecht: Milo Raus Tribunal-Theater
Besprechungen