Beschreibung
Das Argument 322 widmet sich einem Neuanfang der »Philosophie der Praxis«. Praxis-Philosophie war einer der theoretischen Wege im Jugoslawien der Arbeiterselbstverwaltung und Anziehungspunkt für westliche Intellektuelle am Gegenpol zum Sowjetmarxismus. Spätestens jedoch mit dem Untergang des europäischen Staatssozialismus und dem Bürgerkrieg in Jugoslawien waren »die Fragen der Philosophie der Praxis an den ›Rand der Geschichte‹ gedrängt. Der Marxismus insgesamt galt als tot«, skizziert W.F. Haug im Editorial die Lage.
Die Redaktion des Heftes nimmt die Frage nach den philosophischen Konsequenzen des von Marx eingenommenen praktisch-dialektischen Standpunkts wieder auf. Der Anlass dafür ist wiederum »unmittelbar theoretisch-praktisch«, betont Wolfgang Fritz Haug, Herausgeber dieses Heftes, denn Fragen der Philosophie des praktisch-dialektischen Geschichtsmaterialismus prägen den laufenden Band des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus besonders und sie erfordern erneute Theoriearbeit auf den Feldern, zu denen »einem verbreiteten Vorurteil zufolge die Philosophie der Praxis wenig Handfestes zu sagen habe«.
»Die Philosophie der Praxis ist nichts Fertiges, sondern Theorie und Praxis in Bewegung«, betonen dabei Thomas Barfuss und Peter Jehle. Von Gramscis Philosophie der Praxis ausgehend, diskutieren sie die Relevanz von Gramscis Politikverständnis in der aktuellen Krise des Politischen.
Kann man das »Kapital« von den Feuerbach-Thesen her lesen?, fragt Wolfgang Fritz Haug in seinem Beitrag und begibt sich damit in die Höhle des ökonomischen Löwen.
Michael Vesters Vorschlag zu einer praxeologischen Klassentheorie versucht, die Logik des Kapitals und die Logik der Praxis zusammenzudenken. Wolfdietrich Schmied-Kowarzik und Michael Löwy arbeiten Leistungsfähigkeit und Weiterentwicklungsbedarf der Philosophie der Praxis in Bezug auf die Mensch-Natur-Verhältnisse im Zeichen der Klimakatastrophe heraus. Der Praxis von Kritik insbesondere in feministischer Forschung und Politik widmet sich Frigga Haug.
Der Heftschwerpunkt wird ergänzt durch Frigga Haugs Nachricht aus dem Patriarchat zur Vollzeitarbeit für Frauen, Robert Cohens Rückblick auf 100 Tage Donald Trump und Hans Peter Kammerers Lektüre der Ästhetik des Widerstands in der heutigen Welt. Ulla Plener kritisiert die unhinterfragte Verwendung des Begriffs »Nationalsozialismus«, auch in der Zeitschrift Das Argument. Wolfgang Fritz Haug reagiert auf diesen willkommenen »Weckruf Pleners« und skizziert Praxis und Standpunkt der Zeitschrift. Mario Keßler, Frigga Haug und W.F. Haug erinnern an
Theodor Bergmann (1916–2017) und Nora Räthzel an Zygmunt Bauman (1925–2017). Engagierte und pointierte Rezensionen schließen das Heft ab.