Beschreibung
Auszug aus dem Editorial von Wolfgang Fritz Haug:
Wo Gewaltanalyse vom gesellschaftstheoretischen und ökonomiekritischen Boden abhebt, fängt auch sie an, ihrem Gegenstand zu erliegen. In diesem Argument geht es um aktuelle Theorien der Gewalt und des Ausnahmezustands, Walter Benjamin, Carl Schmitt, Gramscis Hegemonietheorie und die seit Urzeiten mit Gewalt geladenen Geschlechterverhältnisse. Das Konzept des vorliegenden Doppelhefts bzw. Argument-Buchs tritt zugleich gegen intellektuelle Modetrends und für die Weiterentwicklung kritischer Theorie ein.
Das Gewalt-Thema in Verbindung mit der Hegemoniefrage steht im Zeichen des Niedergangs der Vereinigten Staaten, deren Finanzkapitalismus eine Weltwirtschaftskrise ausgelöst hat und die mitsamt ihren Verbündeten dabei sind, den Krieg in Afghanistan langsam und unaufhaltsam zu verlieren. Die mit der Angst vorm Chaos sich legitimierende Staatsgewalt sichert den Rahmen, innerhalb dessen die Markt- und Finanzgewalten die Menschen in panischer Vorteilssuche aufeinander hetzen. Das Gegenbild scheint in den Kämpfen um »Stuttgart 21« auf. Schlagstöcke, Wasserwerfer und Reizgas sollen den Hegemonieverlust des herrschenden Blocks kompensieren, während eine klassenübergreifende Volksbewegung, wie man sie sonst eher von den Franzosen erwartet, die Mehrheit der Bevölkerung gewonnen hat. Diese lokal und punktuell anhebende Bewegung strahlt überregional aus und beginnt, weit über die konkrete Streitfrage hinaus zu wirken.
Inhalt:
Gewalt und Hegemonie
Elfriede Jelinek: Raus!
Sami Naïr: Die Ohnmacht der europäischen Linken
Etienne Balibar: Extreme Gewalt – Über die Grenzen der politischen Anthropologie
Raul Zelik: Der Konsens des Schreckens – Zur hegemoniebildenden Wirkung herrschaftlicher Gewalt
Wolfgang Fritz Haug: Über Gewalt und Hegemonie
Karl Marx: Abschweifung über produktive Arbeit
Raul Zelik: Die Präsenz des Abwesenden. Eine Antwort auf Wolfgang Fritz Haug
Bernd Rüthers: Ein Denkmal für Carl Schmitt
David Salomon: Von Regeln und Ausnahmen – Über Recht, Gewalt und Hegemonie
Timm Ebner und Jörg Nowak: Struktur als Bruch – Alternativen zum autoritären Post-Althusserianismus bei Badiou und Žižek
Fallbeispiele
Wolfram Adolphi: Über Hegemonie und Gewalt in der DDR
Ursula Schröter: Randglossen einer Beitrittsbürgerin
Peter Mayo: Gramsci, die Südfrage und der Mittelmeerraum
Inez Hedges: Gewalt und »performative Erinnerung« in der Konstruktion palästinensischer Identität
Gewalt in Geschlechterverhältnissen
Sigrid Asamoah: Weniger wehleidig belastet den Haushalt nicht
Cynthia Cockburn: Geschlechterverhältnisse als Ursache von Militarisierung und Krieg
Lisa S. Price: Männliche Herrschaft und sexuelle Gewalt
Frigga Haug: Wie Gewalt gegen Frauen begreifen?
Jane Kilby: Judith Butler, Inzest und die Frage nach der Liebe des Kindes
Judith Butler: Über Gewalt (Auswahl und Einleitung von Jane Kilby)
Intellektuelle bei der Hegemonie-Arbeit
Durs Grünbein: Selbstportrait als leerer Teller
Vesa Oittinen: Das lukácssche Paradigma des Intellektuellen
Christian Sigrist: Amilcar Cabral
Klaus Meschkat: Der historische Sozialismus – ein Blick nach Lateinamerika