Beschreibung
Antonio Gramsci (1892-1937) zählt weltweit zu den großen politisch-philosophischen Denkern Europas, sein Werk wird inzwischen auch in Deutschland umfassend rezipiert. Die parallel zu den Gefängnisheften verfaßten Briefe schlagen eine Brücke zum Verständnis der theoretischen Aufzeichnungen und Reflexionen, sind darüber hinaus aber der eindrucksvolle Entwurf eines intellektuellen Selbstporträts. Durch die Lektüre der Briefe eröffnet sich der Zugang zu der Person Antonio Gramsci, zu den Wurzeln seines Denkens und Fühlens.
Schon 1947 erschien in Italien eine erste Auswahl der Gefängnisbriefe (Lettere dal carcere), die etwa die Hälfte des heute bekannten Materials umfasste. Die Kritik feierte sie damals als herausragendes Dokument der europäischen Geistesgeschichte. Italo Calvino schrieb: »Diese Sammlung von Familienbriefen wird gleich einem organisch geschriebenen Werk der europäischen Kultur ihren Wert behalten, und sie wird von den kommenden Generationen gelesen werden.«
Sein Selbstporträt entwickelt Gramsci im Dialog mit seinen Briefpartnerinnen. Der hier vorliegende zweite Band der Gefängnisbriefe dokumentiert die Jahre 1926 bis 1930 des intensiven Austauschs mit der Schwägerin Tanja Schucht, die während der gesamten Gefängniszeit den persönlichen und brieflichen Kontakt aufrecht erhält. Tanja ist die eigentliche Gesprächspartnerin für die Entwicklung der Themen der Gefängnishefte, zudem die Vermittlerin der Diskurse über politische und ökonomische Theorien, die Gramsci mit dem in England lebenden Piero Sraffa führt. Der in Vorbereitung befindliche Band III wird die Jahre 1931 bis 1935 dokumentieren (der Briefwechsel endet mit der Überführung Gramscis in die Klinik Quisisana in Rom im August 1935).
Der erste Band der Gefängnisbriefe umfasst die Korrespondenz Gramscis mit seiner Frau Giulia. Diese Texte vermitteln das intensive Bild seines persönlichen und politischen Überlebenskampfes unter den Bedingungen faschistischer und stalinistischer Zensur. Im Brennpunkt steht Gramscis Idee der Selbstkonstruktion des Menschen, die er auch in Bezug auf Giulias Psychoanalyse und auf die Erziehung ihrer beiden Söhne, Delio und Julik (Giuliano), entwickelt.Um dem dialogischen Charakter, der alle Werke Gramscis, insbesondere aber die Gefängnisbriefe auszeichnet, gerecht zu werden, umfasst die in vier Bänden geplante Ausgabe nicht nur sämtliche bis heute bekannt gewordenen Briefe Gramscis (versehen mit einem Anmerkungsapparat), sondern dokumentiert darüber hinaus die wichtigsten zugänglichen Briefe seiner Briefpartnerinnen und -partner. Gramscis Briefwechsel im Gefängnis ist in dieser Vollständigkeit bislang in keiner Ausgabe enthalten.